„Vertraut in die Fähigkeiten eures Kindes“

[10.10.2014]  Interview
Corinna Rüffer mit Pablo Pineda
© Oliver Feldhaus

Wie können mehr gemeinsame Lebenswelten für Menschen mit und ohne Behinderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen möglich gemacht werden? Darüber diskutierten Fachleute, Bürger und Grüne auf unserer Tagung „Schluss mit Sonderwelten – die inklusive Gesellschaft gestalten“ am 6. Oktober in Berlin.

Die Abschlussrunde mit dem Spanier Pablo Pineda Ferrer, Europas erstem Akademiker mit Down-Syndrom, öffnete den Blick auf die Situation in anderen Ländern. Im Anschluss an die Tagung beantwortete er mir noch einige Fragen:

Auf der Tagung haben wir viel über Hürden gesprochen, die Menschen mit Behinderung im Weg stehen und die sie überwinden müssen. Mussten Sie auf Ihrem bisherigen Lebensweg auch oft gegen Hindernisse kämpfen?

Pablo Pineda: Ich war ja in vielem der Erste: Der erste mit Down-Syndrom der eine Regelschule besucht hat, der erste mit Down-Syndrom, der an einer Universität studiert hat. Da musste ich natürlich kämpfen, und zwar hart dafür kämpfen, damit die anderen wahrnehmen, dass ich etwas kann – auch studieren und unabhängig sein.

Dass Sie heute dort stehen, wo Sie stehen – liegt das vor allem daran, dass Ihre Familie und Ihr Umfeld sie unterstützt haben? Oder war Spanien damals gesellschaftspolitisch schon so weit?

Pineda: Die Unterstützung durch meine Familie und mein Umfeld waren sehr wichtig – beispielsweise die Entscheidung meiner Eltern, mich auf eine Regelschule zu schicken. Aber auch die Situation in Spanien, wo beispielsweise die Sonderschulen dann Mitte der 1980er abgeschafft wurden, hat dazu beigetragen, dass ich diesen Weg gehen konnte.

War der Besuch einer Regelschule der Grundstein für Ihren erfolgreichen Bildungsweg?

Pineda: Ja, das war ganz wichtig für mich, weil ich dadurch sehr viel im Umgang mit Menschen gelernt und viele Erfahrungen gemacht habe. Das hätte ich so an einer Sonderschule nicht machen können. Ich würde sogar sagen, dass die Tatsache, dass ich heute hier in Berlin bin und an dieser Tagung teilnehme, ihre Wurzeln darin hat, dass ich auf einer Regelschule war. Wäre ich auf eine Sonderschule gegangen, würde mich niemand kennen, dann wäre ich einfach noch einer mit Down Syndrom.

In Deutschland debattieren wir gerade intensiv über ein inklusives Schulsystem. Dabei plädieren auch einige Eltern von behinderten Kindern dafür, das Sonderschulsystem beizubehalten. Sie denken, ihre Kinder wären dort besser aufgehoben, sie würden besser gefördert und wären besser geschützt. Was würden Sie diesen Eltern sagen?

Pineda: Eltern sorgen sich immer um ihre Kinder. Was ich diesen Eltern deshalb sagen würde, ist: Vertraut in die Fähigkeiten eures Kindes und darauf, was es schaffen kann – aber auch darauf, was es in die Gesellschaft einbringen kann. Und auf eine Regelschule zu gehen, ist die beste Voraussetzung, um etwas in die Gesellschaft einzubringen – weil man selber lernt, aber auch die anderen, nicht-behinderten Kinder lernen. Nur so gibt es Veränderung. Das ist ja ein stufenweiser Prozess: Wenn man in der Schule mit der Veränderung anfängt, überträgt sich das auf die Gesellschaft.

 

Zur Person:
Pablo Pineda Ferrer ist 1974 in Málaga (Spanien) geboren. Er wurde bekannt als erster Europäer mit Down-Syndrom, der an der Universität studiert und ein Hochschuldiplom – in Psychologie und Pädagogik – erhalten hat. Außerdem spielte er in dem Film „Yo También“ (2009), der an seine eigene Lebensgeschichte angelehnt ist, die Hauptrolle. Dafür wurde er beim Filmfestival von San Sebastian als bester Darsteller mit der „Silberne Muschel“ ausgezeichnet.