Reisen an die Grenzen der EU

[23.06.2015]  Artikel

Immer wieder erreichen den Petitionsausschuss des Bundestags Eingaben von Flüchtlingen, die über einen so genannten Drittstaat eingereist sind und verzweifelt um Asyl in Deutschland bitten. Um die Aufnahme von Flüchtlingen zu erörtern, unternahm ich mit Delegationen des Petitionsausschusses zwei Reisen in die Mittelmeerregion. Vor etwa einem Jahr waren wir auf Sizilien und in Rom. Damals stand Italien kurz vor der EU-Ratspräsidentschaft und eine Priorität sollte die Flüchtlingsproblematik sein. Alle GesprächspartnerInnen aus Politik und von NGOs flehten uns damals förmlich an, das italienische Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum“ zu unterstützen. Vergeblich. Im Herzen Europas fürchtete man, dass die Rettung von Menschen viele andere zur Flucht animieren könnte. Anders formuliert: Wenn nur genug Menschen im Mittelmeer ertrinken, hat das eine abschreckende Wirkung.

Dieses perfide Kalkül ist aber nicht aufgegangen: Täglich besteigen Männer und Frauen mit ihren Kindern Nussschalen und nehmen den Tod in Kauf, um Europa zu erreichen. Doch statt das Menschenrecht auf Asyl zu gewähren, setzt die EU alles daran, dass die Flüchtlinge Europas Grenzen möglichst nicht erreichen. „Mare Nostrum“ wurde trotz zwischenzeitlicher Betroffenheitsinszenierungen im Herbst 2014 gestoppt – obwohl das dafür nötige Budget von neun Millionen Euro pro Monat für EU-Verhältnisse lächerlich gering wäre. Der Fokus liegt nun darauf, Schlepperkriminalität zu bekämpfen und Flüchtlingsboote zu zerstören. Was für eine Bigotterie: Die EU ist verantwortlich dafür, dass es keine legalen Wege nach Europa gibt. Asylsuchende haben deshalb gar keine andere Möglichkeit, als auf illegalen Wegen ihr Leben zu riskieren.

Vor wenigen Wochen führte uns eine zweite Reise nach Spanien. Das Land ist ebenso schwer von der Eurokrise gebeutelt wie Italien. Eine Jugendarbeitslosigkeit von 60 Prozent und mangelnde Perspektiven prägen den Alltag. Finanzielle Mittel für Asylsuchende sind bestenfalls ein Randthema. In ganz Spanien gibt es für Flüchtlinge nur wenige Plätze in Aufnahmeeinrichtungen. Selbst, wenn das Kontingent erhöht wird: Es ist illusorisch zu glauben, Spanien könne die Aufnahme aller dort ankommenden Flüchtlinge alleine stemmen. An dieser Aufgabe müssen sich alle EU-Staaten beteiligen. Denn es ist längst klar, dass das Dublin-Übereinkommen, wonach Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, in dem sie angekommen sind, gescheitert ist.

In den Parlamenten ist jetzt viel die Rede davon, die „Fluchtursachen bekämpfen“ zu müssen. Doch was versteckt sich hinter dieser Floskel? Wollte man damit ernst machen, müsste die EU ihre Wirtschafts-, Agrar-, Verteidigungs- und Außenpolitik radikal ändern. Dazu ist sie nicht bereit. Stattdessen setzt sie weiter auf Repression, beispielsweise in der spanischen Exklave Melilla an der Küste Marokkos. Der Besuch der dortigen Grenzanlage wäre die wichtigste Station unserer Reise gewesen. Mit aller Härte gehen spanische und marokkanische Sicherheitskräfte in Melilla gemeinsam gegen Flüchtlinge vor. Wer es auf den Grenzzaun schafft, wird nicht selten bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen und umgehend auf die marokkanische Seite zurückgeschafft. Das spanische Innenministerium aber hat den Besuch kurzfristig abgesagt. Es möchte diesen Schandfleck eines Europas, in dem Flüchtlingspolitik vor allem Abschreckungspolitik ist, offenbar nicht gerne zeigen.

Beitrag von Corinna Rüffer in  „grünRegional” (Heft 6/2015), dem Mitgliedermagazin von Bündnis 90/Die Grünen Rheinland-Pfalz.