Wenig Geld und kaum Chancen: Behinderte Menschen im Berufsbildungsbereich

[14.09.2017]  Schriftliche/mündliche Fragen

Seit Juli 2017 lehnen die Sozialämter generell Anträge auf Grundsicherung von Personen ab, die den Berufsbildungsbereich einer Werkstatt durchlaufen. Sie tun dies, weil die Bundesregierung im letzten Herbst gesetzlich klargestellt hat, dass für diese Menschen nur Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt oder auf Arbeitslosengeld II besteht. Dadurch verschlechtert sich die Situation für die Betroffenen. Denn zum einen werden Angehörige und Vermögen nun stärker herangezogen. Zum anderen erhöht sich der bürokratische Aufwand: Man muss in einem relativ kurzen Zeitabstand verschiedene Leistungen bei verschiedenen Stellen beantragen. Da Werkstattbeschäftigte im Arbeitsbereich weiterhin Grundsicherung erhalten, entstehen darüber hinaus neue Ungerechtigkeiten: Beschäftigte im Berufsbildungsbereich sind schlechter gestellt als jene im Arbeitsbereich.

Auf meine Nachfrage höre ich Erstaunliches: Die Bundesregierung hält es zwar für bedenklich, dass Menschen im Berufsbildungsbereich nun schlechter gestellt sind. Sie habe „im Diskussionsprozess der Arbeitsgruppe zum Bundesteilhabegesetz die Handlungsoption eingebracht, auch für diese Personen“ Grundsicherungsleistungen vorzusehen – konnte sich aber nicht durchsetzen. So hat sie sich anscheinend entschieden, dieses Anliegen in der Praxis komplett zu verwerfen und durch eine gesetzliche Klarstellung die Situation für diejenigen noch verschlechtert, die bei unklarer Rechtslage vielleicht doch Grundsicherung bekommen hätten. Die Bundesregierung präsentiert sich mit Sorgenfalte auf der Stirn und handelt gleichzeitig gegen die Interessen behinderter Menschen.

Es ist tatsächlich kompliziert, denn um einen Anspruch auf Grundsicherung zu haben, muss man „dauerhaft voll erwerbsgemindert“ sein. Die Bundesregierung argumentiert nun, im Berufsbildungsbereich stehe ja noch nicht fest, ob eine dauerhafte Erwerbsminderung vorliege oder die Betreffenden vom Berufsbildungsbereich nicht vielleicht doch auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln. Wie vielen Personen das tatsächlich gelingt, ist nicht bekannt – es dürften nur wenige sein. Der Ansatz der Bundesregierung, Menschen schlechter zu stellen in der vagen Hoffnung darauf, dass sie vielleicht einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden, ist daher zynisch. Es ist darüber hinaus wenig verantwortungsvoll, gerade den Personenkreis damit zu belasten, alle paar Jahre eine andere Transferleistung neu beantragen zu müssen, der aufgrund einer Beeinträchtigung bei Verwaltungsvorgängen in der Regel Unterstützung braucht.

Wir müssen mehr Menschen in ihrem Weg auf den allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützen. Und die Qualifikationsmöglichkeiten im Berufsbildungsbereich müssen ebenfalls verbessert werden. All das ist sinnvoller und wichtiger als behinderte Menschen mit bürokratisch aufwändigen Prozessen zu belasten, bei denen hinterher noch weniger Geld für sie herauskommt.

Hintergrund:
In Werkstätten für behinderte Menschen gibt es drei verschiedene „Bereiche“: Das Eingangsverfahren, den Berufsbildungsbereich und den Arbeitsbereich. Während des ein- bis dreimonatigen Eingangsverfahrens wird geklärt, welche Beschäftigung möglich ist (Eingliederungsplan). Der folgende Berufsbildungsbereich bereitet in maximal zwei Jahren auf den Arbeitsbereich der Werkstatt oder den allgemeinen Arbeitsmarkt vor.
Nur etwa ein Prozent der gut 300.000 Werkstattbeschäftigten aus dem Arbeitsbereich gelingt der Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.