Frau Nahles rechnet das Bundesteilhabegesetz schön

[12.10.2016]  Schriftliche/mündliche Fragen

Die Bundesregierung will Menschen mit Behinderungen für die Unterstützungsleistungen, die sie brauchen, weiter zur Kasse bitten und längst nicht so stark entlasten wie sie behauptet. Zwar wiederholt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gebetsmühlenhaft, dass Menschen mit Behinderungen mit dem geplanten Bundesteilhabegesetz finanziell besser gestellt werden. Doch die Realität sieht anders aus: Das Ministerium operiert mit geschönten Zahlen, faktisch wird den wenigen Menschen, die überhaupt profitieren würden, doch nicht so viel Geld mehr übrig bleiben.

Für die Zeit nach 2020 sollen Übergangsbestimmungen für die Anrechnung von Einkommen und Vermögen gelten. In hübschen Beispielrechnungen stellt das BMAS dar, dass behinderte Menschen künftig weniger Geld selbst beisteuern müssen. Die Zahlen sehen nicht schlecht aus, tatsächlich wird es so aber nicht kommen. Denn in den Beispielrechnungen wird eine monatliche Kaltmiete von lediglich 400 Euro zugrunde gelegt. Doch wo bekommt man heute dafür noch eine Wohnung – und welche? Eine größere und barrierefreie Wohnung jedenfalls ziemlich sicher nicht.

Wie kommt das Ministerium überhaupt auf diesen Betrag für die Miete? Die Rechenkünstler aus dem BMAS haben einfach die Summe der durchschnittlichen Kosten für Unterkunft und Heizung aus dem Jahr 2015 pauschal um 100 Euro erhöht. Mit diesem „Aufschlag“ könne auch barrierefreier Wohnraum finanziert werden, so die Antwort auf meine schriftliche Frage.

Die Krux liegt aber im Detail: Die durchschnittlichen Kosten für die Unterkunft berücksichtigen nur die Mieten von Menschen, die Grundsicherung beziehen. Es sind also vergleichsweise niedrige Mietkosten. Denn Menschen im Grundsicherungsbezug leben überproportional oft in Ein-Zimmer- und/oder Sozialwohnungen. Das ist als würde man die Durchschnittsmiete von Studentenwohnheimen als Grundlage für die Kosten einer Familienwohnung nehmen.

Doch Ein-Zimmer- und Sozialwohnungen kommen für Menschen mit Behinderungen oft nicht in Frage, weil sie entweder keinen Wohnberechtigungsschein und damit keine Sozialwohnung bekommen oder eine Ein-Zimmer-Wohnung nicht ausreicht. Die tatsächliche Miete, die behinderte Menschen zahlen, dürfte so hoch liegen, dass sie die vom BMAS berechnete Entlastung auffrisst.

Anstatt mit Rechentricks besser aussehen zu wollen, sollte das Ministerium gleich ganz auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen verzichten. Teilhabe ist ein Menschenrecht – und Menschenrechte dürfen nichts kosten!

Hintergrund:
Nach aktueller Rechtslage und in der Übergangszeit bis Ende 2019 wird bei der Heranziehung des Einkommens für jede/n LeistungsbezieherIn eine Einkommensgrenze festgelegt. Das Einkommen, das über dieser Grenze liegt, wird mindestens zu 40 Prozent angerechnet. Die Einkommensgrenze setzt sich zusammen aus einem Grundbetrag in doppelter Höhe der „Regelbedarfsstufe 1“ (derzeit 404 Euro x 2 = 808 Euro), den angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft (ohne Heizung) und einem Familienzuschlag in Höhe von 70 Prozent der „Regelbedarfsstufe 1“ für nicht getrennt lebende Ehegatten oder Lebenspartner sowie jedes Kind. Bei den angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft geht das BMAS wie oben beschrieben von einem Betrag von 400 Euro aus. Ab 2020 gilt eine komplett andere Anrechnungsmethode, bei der nur das Bruttoeinkommen betrachtet wird.