Der Gesetzentwurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes von Union und SPD wurde bei der öffentlichen Anhörung im Familienausschusses sehr kritisch bewertet. Zwar haben die Sachverständigen eine Pauschalierung der „Leistungen für spezifische Bedarfe“ begrüßt. Die Stiftungsstruktur aber sollte erst gründlich überprüft werden, bevor man sie ändere.
Die in diesem Jahr erfolgte Evaluation des Conterganstiftungsgesetzes hatte ergeben, dass die Leistungen für „spezifische Bedarfe“, die Contergangeschädigte im konkreten Einzelfall erhalten können, ihren Zweck verfehlt haben. Das liegt daran, dass das Antragsverfahren völlig unzureichend, zu kompliziert und intransparent ist.
Die Conterganstiftung ist 1972 im Zuge des Conterganskandals errichtet worden und dafür zuständig, die Entschädigungszahlungen an die contergangeschädigten Menschen auszuzahlen. Die Leistungen waren zunächst allerdings sehr gering und wurden erst 2013 mit dem Dritten Conterganstiftungsänderungsgesetz deutlich verbessert. Damals wurden auch Leistungen zur Deckung „spezifischer Bedarfe“ im Einzelfall eingeführt.
Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen sah aber nicht nur einen neuen Verteilungsmodus für die spezifischen Bedarfe vor, sondern auch grundlegende Änderungen der Stiftungsstruktur: Der Stiftungsvorstand sollte zu Lasten des Stiftungsrats deutlich gestärkt werden und das zuständige Bundesfamilienministerium einen noch größeren Einfluss gegenüber der Stiftung erhalten.
Das kritisierten dann auch alle Sachverständigen in der Anhörung. Die vorgesehenen Strukturänderungen seien nicht nachvollziehbar, so Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein: „Selbst der Vorstand kritisiert, dass das Ministerium ständig in die Arbeit reingrätscht. Trotzdem reduziert der Gesetzentwurf paradoxerweise nicht den Einfluss des Ministeriums, sondern baut ihn noch aus.“ Verlierer sei der Stiftungsrat – das einzige Gremium in dem gewählte Vertreter der Leistungsberechtigten sitzen. Doch deren Kompetenzen zu kappen, widerspräche dem Geist der Conterganstiftung. Dass die Perspektive der Betroffenen prägendes Merkmal der Stiftung sei, betonte Dr. Jan Ziekow, Professor für Verwaltungsrecht.
Andreas Meyer, Vertreter der Betroffenen im Stiftungsrat, widersprach der Darstellung, die Schwierigkeiten innerhalb der Stiftung würden auf Zuständigkeitsproblemen beruhen. Grund für die Konflikte sei vielmehr, dass die Betroffenenvertreter im Stiftungsrat nicht respektiert und in ihrer Arbeit behindert würden, beispielsweise in dem sie häufig nicht ausreichend informiert würden oder entscheidungsrelevante Unterlagen nicht (rechtzeitig) erhielten. Zudem greife das zuständige Bundesfamilienministerium immer wieder maßgeblich in Geschäfte des Vorstands ein. Das bestätigte auch Margit Hudelmaier, Mitglied im Vorstand der Stiftung.
Christian Stürmer, ebenfalls Betroffenenvertreter im Stiftungsrat, bemängelte zudem, dass Vertreter der Contergangeschädigten zwar zu vielen Gesprächen im Bundesfamilienministerium waren: „Doch davon findet sich nichts im Gesetzentwurf.“ Es sei nicht weniger, sondern mehr Mitsprache der Leistungsberechtigten nötig: „Wir brauchen keine Fürsorge, sondern ein Miteinander auf Augenhöhe.“ Um die bestehenden Konflikte zu lösen, sollten zwei weitere neutrale Personen in den Stiftungsrat berufen werden. Diesem Vorschlag schloss sich Dr. Ziekow an und plädierte zudem dafür, den Stiftungsvorstand auf drei Personen zu erweitern.
Dr. Tolmein verwies noch darauf, dass der Gesetzentwurf nicht berücksichtige, dass das Conterganstiftungsgesetz an das neue Bundesteilhabegesetz angepasst werden müsse – sonst gäbe es gravierende Verschlechterungen für contergangeschädigte Menschen.
Alle anwesenden Sachverständigen sprachen sich abschließend dafür aus, die Reform der Stiftungsstruktur von den Leistungsregelungen abzukoppeln. Die Arbeit der Stiftung und ihrer Gremien sollte zunächst grundlegend evaluiert werden, bevor man die Strukturen verändere.