Barrierefreiheit ist wichtig, aber die Interessen der Wirtschaft gehen im Zweifelsfall vor – so lässt sich die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zu verschiedenen Aspekten der Barrierefreiheit am besten zusammenfassen.
Offiziell begrüßt die Bundesregierung zwar, dass mit der EU-Barrierefreiheits-Richtlinie (European Accessibility Act, EAA) einheitliche Vorgaben zur Barrierefreiheit von Waren und Dienstleistungen privater Unternehmen gemacht werden sollen.
Es wäre ihr aber offensichtlich lieber, für jeden Wirtschaftszweig eigene Regeln in den bereits vorhandenen Richtlinien zu verankern (Antwort auf Frage 9). Die Barrierefreiheit von Notrufsystemen sieht sie beispielsweise in der Telekommunikations-Richtlinie besser aufgehoben (Antwort auf Frage 11). Wer so denkt, will Vorgaben zur Barrierefreiheit in Wirklichkeit möglichst weichspülen und verhindern.
Die Bundesregierung versteht Vorgaben zur Barrierefreiheit vor allem als Zumutung. Deshalb will sie der Wirtschaft weiterhin erlauben, im gewohnten Trott zu bleiben und sich so weit wie möglich ihrer Verantwortung gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu entziehen. Das zeigt sich deutlich daran, dass sich die einzigen Fragen, die die Bundesregierung von der EU-Kommission noch beantwortet haben möchte, nur darauf beziehen, wie eventuelle Belastungen für die Wirtschaft vermieden werden können (Antwort auf Frage 14-16). Dabei können Barrierefreiheitsvorgaben durchaus den Kreis der Kundinnen und Kunden eines Unternehmens erweitern, wie das Beispiel der Spracherkennungssoftware „Siri“ zeigt, die von vielen blinden oder sehbeeinträchtigten Menschen genutzt wird.
Und die erste Bilanz der Novelle des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) zeigt: Die BGG-Reform ist ein Totalausfall. Seit Mai 2016 gab es keine Fortschritte beim Abbau von Barrieren im direkten Einflussbereich der Bundesregierung. Niemand erwartet, dass nach einem Jahr alle vom Bund institutionell geförderten Organisationen und Einrichtungen vollständig barrierefrei arbeiten. Aber es ist ein Armutszeugnis, dass die Regierung nicht einmal eine einzige kleine Maßnahme zum Abbau von Barrieren nennen kann (Antwort zu den Fragen 17-19).
- Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Barrierefreiheit in der Privatwirtschaft“ (Pdf), Bundestags-Drucksache 18/13258, 04.08.2017