Mit Blick auf den Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz, den das Bundessozialministerium für nächste Woche angekündigt hat, erklärt Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik:
Das Bundesteilhabegesetz ist das größte verbleibende sozialpolitische Projekt der großen Koalition und ein großes Versprechen an Menschen mit Behinderung – und alles deutet darauf hin, dass die Bundesregierung es gerade bricht. Wenn der angekündigte Referentenentwurf nicht deutlich anders aussehen wird, als der im Januar bekannt gewordene Arbeitsentwurf des Bundessozialministeriums, hätte man sich die Arbeit sparen können.
Es deutet alles darauf hin, dass es bei der Einkommensanrechnung keine substanziellen Verbesserungen geben wird – sondern im Gegenteil in vielen Fällen Verschlechterungen. Denn der Arbeitsentwurf sieht ein progressiv ansteigendes Kostenbeteiligungssystem vor, das das verfügbare Nettoeinkommen faktisch bei etwa 1.600 bis 1.800 Euro im Monat deckelt.
Auch die angekündigten Verbesserungen hinsichtlich des Einkommens und Vermögens der Partnerin oder des Partners sind im Arbeitsentwurf nicht zu finden. Stattdessen würden Partnerinnen und Partner eher noch stärker herangezogen, um die benötigten Unterstützungsleistungen zu finanzieren.
Zu befürchten ist, dass das Wunsch- und Wahlrecht und somit die Selbstbestimmung der Betroffenen nicht gestärkt, sondern eingeschränkt wird. Denn laut Arbeitsentwurf soll der Vorrang „ambulant vor stationär“ entfallen und auch nicht mehr geprüft werden, ob eine Alternative zumutbar ist. Ausschlaggebend sollen nur noch die Kosten sein. Behinderte Menschen können dann leichter zu bestimmten Leistungsformen – beispielsweise zum Leben im Heim – gezwungen werden. Und die Sozialämter können künftig anordnen, dass behinderte Menschen Leistungen gemeinsam in Anspruch nehmen müssen. Zum Beispiel müssten sich dann zwei behinderte Menschen, die nahe beieinander wohnen, in der Nacht einen Assistenten teilen.
Ein Bundesteilhabegesetz wird seinem Namen und der UN-Behindertenrechtskonvention aber nur gerecht, wenn es gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe ermöglicht. Wir erwarten von Ministerin Nahles, dass sie einen Gesetzentwurf vorlegt, der auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen verzichtet und gewährleistet, dass behinderte Menschen selbst entscheiden können, wie und wo sie leben wollen und wer sie unterstützt.