Zum 10-jährigen Bestehen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erklären Volker Beck, Sprecher für Migration, und Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik:
Zehn Jahre nach dem In-Kraft-Treten des AGG ist eine Reform überfällig. Das AGG war eine späte Frucht von Rot-Grün, wenn auch von Schwarz-Rot gleichsam notariell und leicht verwässert ins Bundesgesetzblatt geschrieben.
Nach zehn Jahren AGG ist eine Verbesserung des Schutzes von Diskriminierungsopfern dringend notwendig. Die von der Wirtschaft befürchtete Klagewelle ist erwartungsgemäß ausgeblieben. Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass nicht das AGG, sondern Diskriminierung der Wirtschaft schadet. In einer globalisierten Welt ist die Anerkennung von Vielfalt („Diversity“) ein wichtiges Element für den wirtschaftlichen Erfolg.
Deshalb schließen wir uns der Forderung der Antidiskriminierungsstelle an, dass das AGG nach zehn Jahren dringend verbessert werden muss, damit Diskriminierungen effektiv bekämpft werden können. Wir legen nun zum 10-jährigen Jubiläum einen ⇒ Antrag (PDF) vor, der nach der Sommerpause im Bundestag diskutiert werden soll.
Die AGG-Reform im Einzelnen:
- Wir brauchen ein umfassendes Klagerecht in den Fällen von allgemeiner Bedeutung für Antidiskriminierungsverbände. Deshalb soll auch die gesetzliche Prozessstandschaft für Antidiskriminierungsverbände, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie für Antidiskriminierungsstellen der Länder ermöglicht werden. Ebenfalls soll das Klagerecht der Betriebsräte und Gewerkschaften nach § 17 Abs. 2 AGG für alle Verstöße von Arbeitgebern gegen das AGG ausgeweitet werden.
- Die in § 9 Abs. 2 geregelte Ausnahmeklausel der Religionsgemeinschaften soll explizit nur auf den Kernbereich der Glaubensverkündung beschränkt werden. Das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot in § 19 soll auf alle Diskriminierungsmerkmale mit Ausnahme der Weltanschauung erweitert werden und die Verweigerung angemessener Vorkehrungen sind im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention als Tatbestand der Benachteiligung aufzunehmen. Das bedeutet beispielsweise, dass Arbeitgeber geeignete und erforderliche Maßnahmen ergreifen, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zu Beschäftigung und die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen.
- Wir wollen klarstellen, dass der Diskriminierungsgrund Geschlecht – entgegen der Gesetzesbegründung des AGG – auch Diskriminierungen aufgrund der Geschlechtsidentität, also trans- und intergeschlechtliche Menschen erfasst. Auch die sexuelle Belästigung soll nicht nur für den Bereich Beschäftigung und Beruf (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4) sondern auch für den allgemeinen Zivilrechtsverkehr als Diskriminierung definiert werden.
- Wir fordern den Anwendungsbereich des AGG um die öffentlich-rechtlichen Leistungsgewährungen durch Hoheitsakte bzw. durch öffentlich-rechtliche Verträge (z.B. im Bildungsbereich) und die staatliche Eingriffsverwaltung (z.B. im Rahmen polizeilichen Handels) zu erweitern. Private Anbieter und privat betriebene öffentlich zugängliche Einrichtungen müssen zur Gleichbehandlung und schrittweisen Umsetzung von Barrierefreiheit verpflichtet werden, damit Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens erhalten.
- Wir brauchen verbindliche Rahmen für eine umfassende und tatsächliche Durchsetzung von Gleichberechtigung (proaktive Maßnahmen und Verpflichtungen) für den Bereich des staatlichen Handelns und müssen den Anspruch auf Entgeltgleichheit in § 8 Abs. 2 AGG präzisieren. In § 20 Abs. 2 (privatrechtliche Versicherungen) sind strengere Anforderungen auf die Diskriminierungsgründe Behinderung und Alter zu beschränken.
- Zudem fordern wir die ersatzlose Streichung von § 2 Abs. 4, damit der Schutz vor diskriminierenden Kündigungen im AGG generell gewährleistet wird. Auch § 19 Abs. 3 (zulässige unterschiedliche Behandlung bei der Vermietung von Wohnraum) wollen wir ersatzlos streichen. Ebenfalls wollen wir die in § 15 Abs.1 und Abs. 3 sowie § 21 Abs. 2 geregelte Verschuldenserfordernis streichen. Es sollen ebenso die in § 15 und § 21 geregelten Sanktionen europarechtskonform einen „wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden“ Charakter verliehen bekommen und insbesondere die in § 15 Abs. 2 S. 2 geregelte Obergrenze für die Entschädigung bei einer Nichteinstellung von drei Monatsgehältern gestrichen werden.
- Die in § 15 Abs. 4 AGG und § 21 Abs. 5 AGG geregelten 2-Monats-Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen sind auf 12 Monate zu verlängern. Das sogenannte Maßregelungsverbot gem. § 16, wonach niemand wegen Inanspruchnahme von Rechten nach dem AGG benachteiligt werden darf, muss auch auf das Zivilrecht ausgedehnt werden.