Eine aktuelle Studie belegt: Inklusive Bildung findet in Rheinland-Pfalz kaum statt. Es sind dringend politische Grundsatzentscheidungen nötig, um das System aus Schwerpunkt- und Förderschulen zu transformieren und gemeinsamen Unterricht aller Kinder umzusetzen.
Sie heißen Nenad, Mohamed oder Chantal. Sie sind Kinder, denen der Besuch einer allgemeinen Schule häufig verwehrt wird, weil man sie für weniger begabt als „Durchschnittskinder“ hält und auf einer sogenannten Förderschule richtig aufgehoben sieht. Alle drei werden mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Schulabschluss erwerben und später in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten, jedenfalls dauerhaft auf Transferleistungen angewiesen bleiben. Sie wissen, was ihnen blüht, und sie schämen sich dafür. Für Politik und Gesellschaft bleiben sie weitgehend unsichtbar. Beharrlich drücken wir uns davor, den Zusammenhang von Herkunft und der Wahrscheinlichkeit des Besuchs einer sog. Förderschule in den Blick zu nehmen. Dabei hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vor mittlerweile 13 Jahren dazu verpflichtet, jedem Kind einen Platz im Regelschulsystem zu sichern und das Bildungssystem auf allen Ebenen inklusiv weiterzuentwickeln.
Sonderweg erweist sich als Sackgasse
Ein Forschungsteam des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hat im September eine Studie zur Umsetzung schulischer Inklusion nach der UN-BRK in den 16 Bundesländern veröffentlicht. Ihr Urteil über Rheinland-Pfalz fällt vernichtend aus und bestätigt die tägliche Erfahrung vieler Familien: Inklusion findet hier faktisch nicht statt.
Mit der Zuweisung der Aufgabe Inklusion an „Schwerpunktschulen“ geht unser Bundesland einen Sonderweg. Zu „Schwerpunktschulen“ sind insbesondere solche Schulen ernannt worden, die von vielen Kindern aus armen Familien besucht werden. Es sind vielfach Soziale-Brennpunkt-Schulen, die ohnehin große Herausforderungen zu stemmen haben. Familien, die eine Wahl haben, entscheiden sich regelmäßig gegen diese Schulen. Wer es seinem Kind beim Übergang von der Grundschule irgendwie zutraut, wählt das Gymnasium, andere schicken es von vornherein auf eine Schule in freier Trägerschaft. Eltern von Kindern mit Behinderungen wird häufig geraten, ihr „Elternwahlrecht“ in Richtung der Förderschule auszuüben, weil ihre Töchter und Söhne dort besser aufgehoben seien. Im Ergebnis führt das dazu, dass in Rheinland-Pfalz heute mehr Kinder Förderschulen besuchen als zum Zeitpunkt als die UN-BRK in Kraft trat. Das ist völlig inakzeptabel und verstößt massiv gegen die völkerrechtlichen Vorgaben.
Es war deshalb sehr wichtig, dass einer der WZB-Forscher, Michael Wrase, die Rheinland-Pfalz spezifischen Studien-Ergebnisse im Oktober auf einer Pressekonferenz der GEW und anderer Bildungsorganisationen in Mainz vorgestellt hat. Das hat nicht nur in der Berichterstattung einigen Widerhall gefunden, sondern ist augenscheinlich auch bei den Verantwortlichen in Mainz wahrgenommen worden. Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD), die bisher einen weiten Bogen um das Thema schulische Inklusion gemacht hat, kündigte an, dass sich eine entsprechende Lenkungsgruppe vertieft mit den Ergebnissen der WZB-Studie auseinandersetzen werde. Wir brauchen dringend die politische Grundsatzentscheidung, das System aus Schwerpunkt- und Förderschulen im Sinne der UN-BRK zu transformieren. Bei dieser Aufgabe dürfen wir die orientierungslose Sozialdemokratie nicht allein lassen!
(Artikel aus „grünRegional“, Ausgabe 11/2021)