Inklusiver Arbeitsmarkt: Anhörung legt weiteren Reformbedarf offen

[05.04.2023]  Anhörung
Junge Frau steht vor einem Backblech und formt Brötchen
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Enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts die richtigen Instrumente, damit Menschen mit Behinderung bessere Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben? Diese Frage stieß bei der Sachverständigen-Anhörung Ausschuss für Arbeit und Soziales am 27. März auf geteiltes Echo.

Nahezu einhellig begrüßt haben die Expert*innen die Einführung einer vierten Stufe der Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Auf starke Kritik stieß im Rahmen der Anhörung dagegen das Vorhaben, im Gegenzug die Bußgeldvorschrift für Unternehmen, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen, abzuschaffen. Das sei ein Skandal, so der Jurist Prof. Franz Josef Düwell. Der Staat gebe damit den letzten Hebel zur Durchsetzung der Beschäftigungspflicht aus der Hand und „zieht sich aus der Verantwortung für die Schwerbehindertenbeschäftigung zurück.“
Anstatt die Bußgeldvorschrift ersatzlos zu streichen, müsse sie vielmehr geschärft und die Zuständigkeit zur Durchsetzung von der Bundesagentur für Arbeit auf die Finanzbehörden übertragen werden.

Ebenfalls kritisiert wurde, dass die Ausgleichsabgabe auch künftig als Betriebsausgabe steuerlich geltend gemacht werden kann und auf diese Weise die Allgemeinheit für Pflichtverletzungen einzelner Unternehmen einstehen muss.

Über ihre Erfahrungen aus der Praxis berichtete Eva-Maria Thoms vom mittendrin e.V. aus Köln. Gerade mit Blick auf einen gelingenden Übergang an den Schnittstellen von Schule, Ausbildung und Berufsleben sieht die Expertin, die Jugendliche mit sogenannter geistiger Beeinträchtigung auf ihrem Weg in und durch die duale Ausbildung begleitet, die Widerstände weniger bei den Unternehmen. Vielmehr würden in der Regel staatliche Stellen und bürokratische Hürden einen reibungslosen Ausbildungs- und Berufseinstieg erschweren. Insbesondere die Berufsschulen seien noch nicht ausreichend auf die Zielgruppe eingestellt und würden keine erforderlichen Nachteilsausgleiche gewährt, wie es sie bei den Kammern bereits gibt. Auch bei den Kostenträgern sieht Thoms erheblichen Verbesserungsbedarf. Hier gelte es insbesondere das Budget für Ausbildung zu stärken, die Zugänge zu erleichtern und die Bewilligungsverfahren zu beschleunigen.

Auf Unverständnis bei den Sachverständigen stieß der Verzicht auf präventive Maßnahmen. So ist der ursprünglich vorgesehene Anspruch von Arbeitnehmerinnen auf stufenweisen Wiedereingliederung als Teil des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht mehr im Gesetzentwurf enthalten. Das sei aber das einzige Instrument gewesen, das dem Ziel diene, mehr Menschen in Arbeit zu halten, monierte Düwell. Es hatte darum Diskussionen gegeben, weil die FDP dafür plädiert hatte, auch für Arbeitgebende die Möglichkeit zu schaffen, Arbeitnehmerinnen zu einem stufenweisen Wiedereinstieg zu verpflichten. Zur Frage, wie sinnvoll das sei, positionierte sich Evelyn Räder vom Deutschen Gewerkschaftsbund deutlich: Eine solche Verpflichtung sei nicht nur rechtlich problematisch, sondern auch gesundheitlich kontraproduktiv und könne im Zweifel mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Das Fazit der Anhörung: Der Gesetzentwurf beinhaltet einige wichtige Maßnahmen. Neben der vierten Stufe der Ausgleichsabgabe und der Konzentration ihrer Mittel auf den ersten Arbeitsmarkt sind das u.a. die Aufhebung der Deckelung des Lohnkostenzuschusses im Budget für Arbeit, die Genehmigungsfiktion für Anträge bei den Integrationsämtern und die Neuordnung des Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Doch die Anhörung hat auch aufgezeigt, dass für einen inklusiven Arbeitsmarkt weitere Schritte nötig sind. Beispielsweise gilt es die gesundheitliche Prävention verbessern, indem wir das betriebliche Eingliederungsmanagement stärken. Auch das unwürdige Vergütungssystem der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen kann nicht so bleiben und wir müssen endlich konsequent die Alternativen zur Werkstatt fördern.

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts (Drs. 20/5664, 15.02.2023)

Aufzeichnung der öffentlichen Anhörung am 23.3.2023 sowie Stellungnahmen der Sachverständigen