Der UN-Fachausschuss, der Ende März die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geprüft hat, erteilte Deutschland eine schallende Ohrfeige. Die Bundesregierung muss ihre Behindertenpolitik nun neu ausrichten. Das fordern wir in unserem Antrag „Empfehlungen der Vereinten Nationen zur Behindertenrechtkonvention zügig umsetzen“.
Wenn davon die Rede ist, dass Menschen ihre Menschenrechte nicht in vollem Umfang wahrnehmen können, denkt man in der Regel an autoritäre Staaten. Aber nicht an Deutschland. Doch dieses Urteil hat der UN-Fachausschuss, der die Umsetzung und Einhaltung der Behindertenrechtskonvention (BRK) überwacht, gerade über Deutschland gefällt.
Der Abschlussbericht, den die Expertinnen und Experten der Vereinten Nationen nach der Überprüfung der Situation in Deutschland veröffentlicht haben, ist eine schallende Ohrfeige in Sachen Menschenrechte. Lediglich ein kurzer Absatz hebt die positiven Leistungen zur Umsetzung der UN-BRK hevor, unter anderem die Verabschiedung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung des Übereinkommens und die Einsetzung einer Behindertenbeauftragten. Der Rest des Dokuments listet Verstößen gegen die BRK auf und empfiehlt Maßnahmen, um diese zu beseitigen. Einige Beispiele:
- Jeder Mensch soll frei entscheiden können, wo er wohnen will: Vielen behinderten Menschen wird das verwehrt, weil Sozialämter die notwendige Unterstützung nur im Rahmen von Wohnheimen bewilligen. Zudem wird zu wenig unternommen, um das alltägliche Lebensumfeld, wie Wohnungen, Geschäfte, Gaststätten oder Kinos, barrierefrei umzugestalten.
- Jeder Mensch soll über seinen Bildungsweg, seinen Beruf und seinen Arbeitsplatz entscheiden können: Für viele Menschen mit Behinderungen ist der Weg in Förderschulen und weiter in Werkstätten für behinderte Menschen vorgezeichnet. Wer davon abweichen will, muss meist jahrelang um die notwendige Unterstützung kämpfen, obwohl darauf ein Rechtsanspruch besteht.
- Jeder Mensch soll frei über alle Fragen seines täglichen Lebens entscheiden können: In der Praxis entscheiden rechtliche Betreuerinnen und Betreuer oft anstelle der Betreuten. Darüber hinaus werden immer noch Menschen alleine aufgrund einer psychischen Behinderung gegen ihren Willen in Psychiatrien untergebracht und behandelt.
- Jeder Mensch soll das Recht haben zu wählen: Behinderten Menschen, die in allen Angelegenheiten unter rechtlicher Betreuung stehen, wird das Wahlrecht aber verweigert.
Jeder Mensch hat das Recht darauf, vor Gewalttaten geschützt zu werden. Der Anteil behinderter Frauen und Mädchen, die unter sexualisierter und anderer Gewalt zu leiden haben, ist nochmals deutlich höher als der bereits erschreckend hohe Anteil nicht behinderter Frauen.
Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag „Empfehlungen der Vereinten Nationen zur Behindertenrechtkonvention zügig umsetzen“ auf, den Bericht ernst zu nehmen und ihre Behindertenpolitik neu auszurichten. Konkret fordern wir unter anderem, dass das deutsche Recht systematisch an die Anforderungen der BRK angepasst wird. Das gilt insbesondere für das Betreuungs- und das Wahlrecht. Im Behindertengleichstellungsgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz muss außerdem das Prinzip der „Angemessenen Vorkehrungen“ verankert werden. Das bedeutet, dass alle Behörden und Unternehmen behinderte Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen müssen.
Weiterhin fordern wir, das Unterstützungssystem für behinderte Menschen umzugestalten: Wohnheime, Werkstätten für behinderte Menschen und Förderschulen sollen abgebaut und durch Angebote ersetzt werden, die Menschen dort unterstützen, wo sie leben, lernen und arbeiten wollen. Außerdem müssen behinderte Frauen und Mädchen besser vor Gewalt geschützt werden.
- Antrag: Empfehlungen der Vereinten Nationen zur Behindertenrechtskonvention zügig umsetzen (Pdf-Datei), Bundestags-Drucksache 18/4813 vom 06.05.2015
- www.institut-fuer-menschenrechte.de: „Abschließenden Bemerkungen“ des UN-Fachausschusses (2015)