Bluttest gegen das Leben?

[31.07.2014]  Artikel

Seit 2012 haben Schwangere die Möglichkeit, mit einem einfachen Bluttest festzustellen, ob ihr Baby das Down-Syndrom hat. Die Untersuchung könnte zum Alltag werden. Sind bald nur noch „perfekte“ Kinder erwünscht? (Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau)

„So wie der eine blond ist, habe ich eben das Down-Syndrom.“ Der spanische Lehrer und Schauspieler Pablo Pineda bringt auf den Punkt, was für viele Nichtbehinderte schwer vorstellbar ist: Eine Beeinträchtigung definiert den Menschen nicht in Gänze. Wie die Haarfarbe sagt sie nicht viel über Lebensqualität, Zufriedenheit oder Glück aus. Eine sehr viel größere Rolle spielen die Lebensbedingungen: Wie viel Anerkennung bekommt ein Mensch? Wie viel Unterstützung? Werden seine Fähigkeiten und seine Würde geachtet?

Seit 2012 können Schwangere in Deutschland mit einer einfachen Blutuntersuchung feststellen lassen, ob ihr Baby mit Down-Syndrom geboren wird. Die Hersteller bewerben diese Bluttests als risikolose Alternative zu den herkömmlichen Plazenta- oder Fruchtwasserpunktionen, bei denen in manchen Fällen eine Fehlgeburt ausgelöst werden kann. Nun kann man fragen: Was genau wird zum Risiko, und für wen?

Auf den ersten Blick scheint das schnell beantwortet. Möglichst wenig in den Körper einzugreifen und Fehlgeburten zu vermeiden, ist natürlich erstrebenswert. Ein negatives Testergebnis verringert also die Wahrscheinlichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs. Was aber, wenn das Ergebnis lautet, dass die Schwangere ein Baby mit Down-Syndrom erwartet? Zunächst wird doch eine Fruchtwasserpunktion vorgenommen – und dann steht sie vor der Entscheidung, ob sie ein behindertes Kind zur Welt bringen möchte. Wer Möglichkeiten schafft, immer früher und mit zunehmender Selbstverständlichkeit zu prüfen, ob ein Kind behindert sein wird, sendet vor allem eine Botschaft: Behinderte Kinder sind unerwünscht. Sie sind das Risiko, das es zu vermeiden gilt.

Beispiel Dänemark

Das Bemühen um Diagnosemittel, die ein möglichst geringes Risiko bergen, einen „gesunden“ Fötus zu verlieren, führt im Ergebnis zu einer Technologie, die sich für systematische Tests größerer Gruppen eignet. Damit steigt das Risiko, dass immer weniger Babys mit Down-Syndrom geboren werden. In anderen europäischen Ländern ist das bereits der Fall: In Dänemark wird seit 2005 allen Schwangeren angeboten, testen zu lassen, ob sie ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen werden. Ein Jahr später hatten bereits 84 Prozent der Schwangeren das Angebot angenommen. Die Zahl der Kinder, die in Dänemark mit Down-Syndrom geboren werden, hat sich halbiert, so eine Studie.

In Deutschland wäre die Übernahme der Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung ein relevanter Schritt auf dem Weg zu einem Routine-Check auf Down-Syndrom. Bislang übernehmen private und gesetzliche Kassen die Kosten für die Bluttests – je nach Hersteller zwischen 485 und 825 Euro – nur im Rahmen von Einzelfallentscheidungen. Würde der Test zur regulären Kassenleistung, würde er zweifelsohne stärker nachgefragt.

Damit erhöhen sich auch der Druck und die individuelle Verantwortung, ein „perfektes“ Kind zu gebären. Machen wir uns nichts vor: Die Möglichkeit, sehr früh und „gefahrlos“ zu testen, erzeugt auch gesellschaftliche Erwartungen, diese Angebote zu nutzen. Eltern, die sich dagegen entscheiden oder sogar wissentlich für ein behindertes Kind, werden immer mehr in Erklärungsnöte geraten.

„Hauptsache gesund“, dieser Allgemeinplatz drückt in der Regel nicht die Sorge aus, das Neugeborene könnte verschnupft zur Welt kommen. Und ganz in diesem Sinne wirkt auch der Bluttest: Möge ein Kind mit Down-Syndrom lieber gar nicht erst geboren werden.

Zu einer Krankenkassenleistung kann der Test nur werden, wenn eine „Nutzenbewertung“ besteht. Auf Antrag der Herstellerfirmen hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) inzwischen ein entsprechendes Verfahren eingeleitet. Das oberste Beschlussgremium der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen erarbeitet derzeit eine Erprobungs-Richtlinie, die die Eckpunkte für eine Studie festlegt. Lautet deren Ergebnis, dass der vorgeburtliche Bluttest andere, aufwendigere Untersuchungsmethoden ersetzen kann, steht der Aufnahme in den Leistungskatalog der Krankenkassen wohl nichts mehr im Wege.

Das Bewusstsein schärfen

Im krassen Gegensatz zu dieser Entwicklung stehen die Verpflichtungen, die Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention eingegangen ist: Damit haben wir zugesagt, „Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen (…) zu bekämpfen“. Wir haben uns verpflichtet, „wirksame und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um in der gesamten Gesellschaft, einschließlich auf Ebene der Familie, das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde zu fördern“.

Doch der Bundestag hat im Rahmen des G-BA-Verfahrens keine Möglichkeit, ethische Bedenken geltend zu machen und die Aufnahme in den Leistungskatalog der Krankenversicherung zu stoppen. Und das Bundesgesundheitsministerium könnte zwar Verfahrensfehler beanstanden, nicht aber das Diskriminierungspotenzial der Bluttests. Größer sind die Chancen, jenseits des parlamentarischen Wegs die schleichende Einführung systematischer Tests zu verhindern: Ärztinnen und Ärzte sowie Patientenvertreterinnen und -vertreter können im Rahmen des Verfahrens entsprechende Stellungnahmen abgeben. Unter anderem das Gen-ethische Netzwerk (GeN e.V.) hat bereits beim Werberat eine Beschwerde gegen die Herabwürdigung behinderter Menschen in der Werbung für die Bluttests eingelegt.

 

Erschienen in der ⇒ Frankfurter Rundschau vom 23.07.2014