Alle Menschen haben das Recht, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen zu können. Der Arbeitsmarkt muss daher offen, inklusiv und zugängig gestaltet sein. Führt man sich diese menschenrechtlichen Grundsätze vor Augen, ist der Blick auf den „realen Arbeitsmarkt“ desillusionierend. Denn er ist weit davon entfernt, allen Menschen die gleichen Chancen zu bieten. Nicht nur Menschen mit Behinderungen werden benachteiligt. Auch für Personen, die über einen längeren Zeitraum arbeitslos waren, ist es meist sehr schwierig, wieder eine Beschäftigung zu finden.
Es gibt bereits viele Angebote, die Nachteile aus- und Chancen angleichen sollen. Für Menschen mit Behinderungen wären hier zum Beispiel die Unterstützte Beschäftigung zu nennen, aber auch Integrationsfirmen oder – wo es existiert – das Budget für Arbeit. Auch die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sollen Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Inwiefern die Werkstätten Teil eines inklusiven Arbeitsmarktes sein können, ist seit Jahren heiß umstritten.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der WfbM hat dazu eine klare Haltung: „Werkstattleistungen tragen ebenso zur Inklusion behinderter Menschen bei, wie alle anderen Angebote der beruflichen Teilhabe“, schrieb sie 2011 im Positionspapier „Maßarbeit“ (S.22). Ich sehe das anders. Die Werkstatt wird immer ein Sonderarbeitsmarkt bleiben. Sie bietet spezifische Leistungen für einen spezifischen Personenkreis. So lange es in der WfbM nicht die Möglichkeit gibt, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, so lange ihre Belegschaft sich nicht ähnlich zusammensetzt wie in einem „normalen“ Betrieb und so lange der Wechsel aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt fast unmöglich ist, so lange bleibt sie eine „Sonderwelt“. Und auch wenn sich der Personenkreis, der Leistungen in einer WfbM erhält, über die Jahrzehnte stark verändert hat, ist die Werkstatt dadurch nicht inklusiver geworden. Denn an den beruflichen und finanziellen Perspektiven, die mit einer Beschäftigung in der WfbM verbunden sind, hat sich wenig verändert.
Werkstätten weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu übertragen und so den Personenkreis, der Werkstattleistungen erhält, noch zu vergrößern, wäre deshalb ein Schritt in die falsche Richtung. Wer den Arbeitsmarkt insgesamt inklusiver gestalten möchte, darf nicht noch mehr Menschen, die bereits benachteiligt werden, Angebote in besonderen Einrichtungen machen. Es muss vielmehr darum gehen, die „ganz normalen“ Betriebe so zu verändern und zu unterstützen, dass Menschen, die behindert oder aus anderen Gründen benachteiligt sind, dort arbeiten können. Und für diese Aufgabe braucht es die Expertise der Werkstätten. Sie haben die Erfahrungen, wie Arbeitsabläufe für diese Personengruppen gestaltet werden können.
Dem Satz „Inklusion braucht die Werkstätten.“ (Maßarbeit, S. 16) kann ich deshalb voll zustimmen. Viel stärker als bisher könnten die Werkstätten auch Arbeitsmöglichkeiten in Unternehmen schaffen, die auf Übernahme durch den Betrieb zielen. Sie könnten verstärkt Träger von Integrationsfachdiensten werden und so ihre Bemühungen verstärken, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Auch das Angebot der Unterstützen Beschäftigung könnten sie häufiger nutzen.
Kurz gesagt: Vieles ist denkbar. Die Werkstätten können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Arbeitsmarkt inklusiv zu gestalten. Die Perspektive muss allerdings immer darauf ausgerichtet sein, Menschen den Übergang aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Den Personenkreis zu erweitern, der Werkstattleistungen erhält, zielt genau in die falsche Richtung.
[Der Artikel ist erschienen in „Klarer Kurs“, Ausgabe 4/2015]