Sondervermögen – Ich stimme mit „Nein“!

[03.06.2022]  Erklärung

Persönliche Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags zu den Abstimmungen über den Gesetzentwurf zur Änderung von Art. 87a des Grundgesetzes (BT-Drs. 20/1410, 20/2091) sowie über den Gesetzentwurf zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ (Bundeswehrsondervermögensgesetz – BwSVermG, BT-Drs. 20/1409, 20/2090):

Am 27. Februar 2022 hielt Bundeskanzler Olaf Scholz unter dem frischen Eindruck des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine im Rahmen einer Sondersitzung des Deutschen Bundestags seine mittlerweile als „Zeitenwende“ bekannt gewordene Rede. Neben der Bereitschaft zu Waffenlieferungen kündigte er überraschend an, die Bundeswehr mittels eines „Sondervermögens“ von 100 Milliarden Euro angemessen ausstatten zu wollen. Diese Ankündigung erfolgte ohne zuvor die eigenen Koalitionspartnern oder die anderen Fraktionen der im Bundestag vertretenen Parteien zu konsultieren. Dieses Vorgehen haben viele Abgeordnete als verstörend empfunden. Ich halte es mit Blick auf die Ignoranz gegenüber etablierten demokratischen Verfahren für im hohen Maße zweifelhaft. Zumal keine Rechtfertigung aufgrund von Eilbedürftigkeit bestand: Es ist kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Einführung eines Sondervermögens mit bestenfalls mittelfristiger Wirkungsperspektive und der Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen ihren brutalen Gegner ersichtlich.

Grundsätzlich ist unstreitig, dass die zur Erfüllung des Auftrags zur Landesverteidigung erforderlichen Mittel vom Gesetzgeber bereitgestellt werden müssen. Das ergibt sich schon aus dem Grundgesetz. Dass dieser Auftrag nicht realisiert wurde, ist seit vielen Jahren bekannt und wurde unter anderem von meiner Fraktion bei unzähligen Gelegenheiten betont. Die Ursache dafür ist aus meiner Sicht aber nicht Geldmangel, sondern vor allem ein systematisches Missmanagement u.a. im Bereich des Beschaffungswesens. Das belegen unzählige Berichte. Deutschland gehört im internationalen Vergleich zu den Staaten, die am meisten Geld ins Militär investieren. Wie kann es angesichts dessen sein, dass es den Soldatinnen und Soldaten anscheinend an Stiefeln oder Unterhosen mangelt? Es drängt sich der Eindruck auf, dass über einen langen Zeitraum viel Geld verbrannt worden ist. Anstatt dem noch mehr Geld hinterherzuwerfen, müsste zunächst eine wirksame Strukturreform erfolgen. Für eine solche ist die Zeit seit dem 27. Februar natürlich zu kurz. Doch es sind bislang auch keine ernsthaften Bemühungen dafür erkennbar.

Dennoch haben sich trotz aller Bedenken auch die Skeptiker*innen auf eine ernsthafte Debatte über Sinn und Zweck eines Sondervermögens eingelassen. Meine Fraktion hat sich dabei für einen „erweiterten Sicherheitsbegriff“ stark gemacht, um der Tatsache Geltung zu verschaffen, dass die Sicherheit unseres Landes weit mehr erfordert als Geld für die Bundeswehr. Dazu gehören etwa die hochrelevanten und gleichfalls kostspieligen Aufgaben der Cybersicherheit und des Zivilschutzes. Doch im Verhandlungsergebnis ist davon nichts zu erkennen. Folglich werden diese Aufgaben aus dem Kernhaushalt zu finanzieren sein. Überdies deutet vieles darauf hin, dass zur Erfüllung des „Fähigkeitsprofils“ der Bundeswehr gemäß den geltenden Nato-Zielen dauerhaft zwei Prozent des BIP aus dem Bundeshaushalt aufgewendet werden sollen.

Das halte ich für nicht tragbar. Insbesondere auch deshalb nicht, weil es zwischen den Regierungsfraktionen keine Einigkeit darüber gibt, die Schuldenbremse zu lockern oder Maßnahmen zur Einnahmensteigerung zu ergreifen. Das bedeutet zwangsläufig, dass steigende Mittel für Militär und Sicherheit zulasten anderer relevanter Projekte gehen. Angesichts der immer noch größten Herausforderung der Klima- und Biodiversitätskrise ist es notwendig, eine weitere soziale Spaltung unserer Gesellschaft mit allen notwendigen Mitteln zu verhindern. Nur geschlossen werden wir die Voraussetzungen für eine lebenswerte Zukunft in Demokratie schaffen. Das sehe ich durch eine falsche Prioritätensetzung gefährdet. Auch deshalb werde ich heute mit „Nein“ stimmen.