Vor mehr als zehn Jahren hat die damals rot-grüne Bundesregierung das Petitionsrecht reformiert und transparenter gemacht: Seitdem gibt es öffentliche Petitionen, die auf der Online-Plattform des Petitionsausschusses diskutiert und unterstützt werden können. Auch der Petitionsbescheid wird nach Abschluss des Verfahrens im Internet veröffentlicht. Außerdem wurden für Petitionen mit mindestens 50.000 Unterschriften öffentliche Ausschusssitzungen eingeführt, bei denen die Parlamentarier mit dem Petenten sein Anliegen beraten.
Inzwischen boomen E-Petitionen. Jede Woche werden hunderte veröffentlicht und einige davon von Hunderttausenden unterstützt – auf privaten Plattformen. Das Petitionswesen beim Bundestag hat sich dagegen zwiespältig entwickelt: Das Petitionsportal ist zwar das erfolgreichste Internetangebot des Bundestags, immer mehr Menschen zeichnen hier Petitionen mit. Doch gleichzeitig werden seit einigen Jahren immer weniger Petitionen beim Bundestag eingereicht. Haben die Menschen keine Vertrauen mehr, dass Parlament und Regierende die richtigen Adressaten für ihre Anliegen und Vorschläge sind? Welche Rolle kann der Petitionsausschuss im Spannungsfeld von Politikverdrossenheit und Beteiligungswunsch spielen? Wie kann das Petitionsrecht als Angebot zur demokratischen Mitwirkung weiterentwickelt und gestärkt werden? Diese Fragen haben wir in unserem Fachgespräch am 23. Januar 2017 mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Verwaltung, mit Netzaktivistinnen und interessierten Bürgerinnen und Bürgern diskutiert.
Petitionen sind ein Sensorium, durch das die Politik aus erster Hand erfährt, welche Sorgen die Menschen bewegen und wie Gesetze wirken. Deshalb sei es notwendig, die Rahmenbedingungen politischer Partizipation zu erweitern, so der Sozialwissenschaftler Prof. Michael Opielka. Er dämpfte aber auch allzu hohe Erwartungen an die Wirkung von Petitionen: Politik sei ein Vorgang des Aushandelns und der Kompromisse – und dazu gehöre eben auch, dass der eigene Vorschlag nicht durchgesetzt werden kann.
Auch Netzaktivistin Katharina Nocun zeigte überzeugt davon, dass es viel Sinn macht, das Petitionsrecht zu öffnen und transparenter zu gestalten. Auch so könne den Rechten das Wasser abgegraben werden. An ausgewählten Beispielen hatte sie eindrucksvoll belegt, wie Rechtspopulisten mittels gut organisierter und verdeckt arbeitender rechter Petitions- und Kampagnenplattformen versuchen, Misstrauen gegen die Handlungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie zu säen.
Mit Nachdruck warb Ulrich Riehm vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) dafür, grundsätzlich alle Petitionen als „öffentliche Petitionen“ zu behandeln, sofern dem keine datenrechtlichen Bedenken oder Einwände des Petenten entgegenstünden. Zudem solle das Quorum für die Behandlung von Petitionen in einer öffentlichen Ausschusssitzung von derzeit 50.000 auf 25.000 Unterschriften gesenkt werden.
Matthias Trénel, Geschäftsführer von Zebralog, einer Agentur für crossmediale Bürgerbeteiligung, befand, dass sich der Petitionsausschuss nicht mehr nur als „Seismograph“ von Problemen verstehen solle, sondern auch als „Verstärker“ von Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. Als technisches Mittel dafür schlug er ein I-Frame des Petitionsausschusses vor, das als „Beteiligungssatelliten“ auf anderen Webseiten eingebaut werden könne. Damit wäre es möglich, auf beliebigen Webseiten für seine Petition zu werben und Unterschriften zu sammeln. Petentinnen und Petenten könnten vom Bundestag über ein solches I-Frame auch über den Stand und Verlauf ihres Petitionsverfahrens informiert werden.
Einig waren sich alle Beteiligten darüber, dass es sinnvoll ist, auch die bereits vorhandenen starken Rechte und Möglichkeiten des Petitionsrechtes, wie Akteneinsichtsrechte, Vorladungsrechte oder Debattenrechte besser und intensiver als bisher zu nutzen.
Das Fachgespräch hat deutlich gezeigt: Mehr als zehn Jahre nach der letzten großen Petitionsreform ist es Zeit für den nächsten großen Sprung.