Zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Unter den Opfern des Nationalsozialismus, derer wir heute gedenken, waren auch mehrere hunderttausend Menschen mit Beeinträchtigungen und psychischen Erkrankungen. Ihnen ist unfassbares Leid und Unrecht angetan worden; sie wurden systematisch entrechtet und ermordet.
Die Abwertung behinderter Menschen durch die Nationalsozialisten und innerhalb der Gesellschaft war früh offensichtlich. Bereits im Juli 1933 erließ Hitlers Kabinett das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das 1934 in Kraft trat. In dessen Folge wurden schätzungsweise 400.000 Menschen zwangssterilisiert, mehrere Tausend starben an den Folgen des operativen Eingriffs. Ab 1940 töteten die Nationalsozialisten während der so genannten „Aktion T4“ planmäßig etwa 300.000 behinderte und psychisch kranke Menschen.
Eugenisches Gedankengut – also die Vorstellung, man könne menschliches Erbgut und damit die Menschen selbst „verbessern“ – war nicht nur in Deutschland populär. Doch nur im Nationalsozialismus führte es zu einem staatlich koordinierten Massenmord. In der zynischen Logik der NS-Ideologie wurde dieses Morden als „Euthanasie“ verschleiert und zu einem Akt der „Erlösung“ umgedeutet – für Menschen, deren Leben angeblich lebensunwert sei.
Ich bin dankbar dafür, dass wir uns heute anders an diese Menschen erinnern können. Trotzdem tauchen eugenisch inspirierte Argumente noch immer auf. Die Debatten um pränatale Diagnostik zeigen: Viele Menschen glauben, sie könnten darüber urteilen, welches Leben mehr und welches weniger wert ist. Ein Leben mit einer Beeinträchtigung wird häufig unwidersprochen als leidvolle Existenz dargestellt. Das ist so falsch wie fatal. Wir Menschen sind verschieden und das ist eine große Bereicherung. Ziel unseres Handelns muss sein, die Gesellschaft so einzurichten, dass alle gleichberechtigt teilhaben können.