Menschen, für die aufgrund ihrer Behinderung keine Regelausbildung möglich ist, können eine Fachpraktiker-Ausbildung machen. Sie ist theoriereduziert und praxisnäher gestaltet als eine „normale“ Ausbildung. Die Ausbilderinnen und Ausbilder müssen dafür seit 2012 die „Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation“ (ReZA) nachweisen. Vor allem für kleine und mittlere Betriebe kann das ein Problem sein, denn die Fortbildung dauert zwei Monate (insgesamt 320 Stunden). So wird im Zwischenbericht des von der Bundesregierung geförderten Projektes „Wirtschaft inklusiv“ ein Unternehmen zitiert, das aufgrund der umfangreichen und aufwendigen Fortbildung zu dem Schluss kommt: „Wir wollen ja gerne, aber man lässt uns nicht“. Auch einige Inhalte der Zusatzqualifikation sind wenig praxisrelevant: Warum müssen sich die Ausbilderinnen und Ausbilder mit der Geschichte der Rehabilitation auskennen und wie hilfreich ist die ausgiebige Auseinandersetzung mit diagnostischen Klassifikationen? Meine Fraktion hat daher bei der Bundesregierung nachgefragt, was sie unternimmt, um bestehende Probleme zu beheben.
Zunächst überrascht die Kenntnislosigkeit der Bundesregierung: „Es liegen keine Untersuchungen zu den Effekten der Schulungsinhalte vor.“ (Antwort auf Frage 3) Das soll sich anscheinend auch nicht ändern, denn „[eine] Befragung der Absolventinnen und Absolventen der ReZA-Fortbildung ist (…) nicht vorgesehen.“ (Antwort auf Frage 4)
Zahlreiche Klagen von Unternehmen weisen darauf hin, dass die Pflicht zur ReZA gerade kleine und mittlere Ausbildungsbetriebe davon abhält, Fachpraktiker-Ausbildungen anzubieten. Dieses Problem wischt die Bundesregierung mit dem Hinweis vom Tisch, es könne unter Umständen ja auch von der ReZA abgesehen werden. Das stimmt zwar theoretisch – aber die Bundesregierung hat überhaupt keine Ahnung davon, inwieweit Betriebe diese Ausnahmemöglichkeiten nutzen. Trotzdem ist sie sich sicher, dass die Ausnahmen zur ReZA bekannt sind (Antwort Frage 11). Woher sie das weiß, bleibt ein Rätsel.
Wie sinnvoll und wichtig die ReZA angeblich sei, belegt die Bundesregierung vor allem mit dem Verweis auf die Ziele der Qualifikation: So soll sie unter anderem „dazu beitragen, mögliche Berührungsängste abzubauen, die bei Betrieben vorliegen könnten.“ Wieso aber sollte eine Qualifikation, die zeitlich sehr aufwendig ist und zudem aus Sicht der Betriebe wenig praxisrelevante Inhalte vermittelt, Berührungsängste abbauen? Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Betriebe, die Menschen mit Behinderung ausbilden möchten, geben an, durch die ReZA behindert zu werden.
Natürlich ist es wichtig, dass Ausbilderinnen und Ausbilder gut qualifiziert sind, und für die Fachpraktiker-Ausbildung von Menschen mit Behinderungen sind unter Umständen auch besondere Kenntnisse nötig. Umso wichtiger wäre es, Schulungsumfang- und -inhalte von Fachleuten aus der Praxis entwickeln und überprüfen zu lassen. Menschen mit Behinderungen müssten in diesen Prozess systematisch einbezogen werden. Das war und ist bei der ReZA nicht ausreichend der Fall. Die Bundesregierung gibt zwar an, dass bei der Entwicklung des Rahmencurriculums „alle mit Ausbildungs- und Qualifizierungsfragen von Menschen mit Behinderungen befassten Akteure“ soweit möglich eingebunden wurden. (Antwort Frage 9) Tatsächlich aber waren jene, die in Betrieben konkrete Erfahrungen mit der Fachpraktiker-Ausbildung machen, stark unterrepräsentiert. Verbände, in denen Menschen mit Behinderungen ausschließlich für sich selbst sprechen, waren nicht vertreten.
Menschen mit Behinderungen eine Ausbildung in einem normalen Betrieb zu ermöglichen – das ist Inklusion. Ob die ReZA dazu einen Betrag leistet, ist mehr als ungewiss. Statt die Augen zu verschließen und ohne Kenntnis ihrer Effekte zu behaupten, die ReZA trage dem Gedanken der Inklusion voll Rechnung, sollte die Bundesregierung die Probleme angehender Fachpraktiker und ihrer Ausbildungsbetriebe ernst nehmen. Nötig wären niedrigschwellige Angebote, damit möglichst viele Betriebe Fachpraktiker-Ausbildungen anbieten. Qualifizierung ist sinnvoll, ihr Umfang und Inhalt muss dem Alltag im Betrieb aber gerecht werden.
- Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Betriebliche Fachpraktiker-Ausbildung von jungen Menschen mit Behinderungen“ (Pdf), Bundestags-Drucksache 18/6454, 22.10.2015