Zum morgigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen gehörten zu den ersten Opfern der Nationalsozialisten. An ihnen erprobten sie den staatlich koordinierten Massenmord an den Juden. Bereits ab 1934 wurden schätzungsweise 400.000 behinderte und psychisch kranke Menschen aufgrund der Rassengesetze zwangssterilisiert, viele Tausend starben an den Folgen des Eingriffs. Unter dem Decknamen „Aktion T4“ töteten die Nationalsozialisten ab 1940 planmäßig etwa 300.000 behinderte und psychisch kranke Menschen.
Es dauerte viele Jahrzehnte, bis es ein angemessenes Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns gab. Seit 2014 gibt es in der Berliner Tiergartenstr. 4, wo die für die Morde verantwortliche NS-Behörde saß, endlich einen Gedenk- und Informationsort. In diesem Jahr stehen die nationalsozialistischen Verbrechen an Menschen mit Behinderungen erstmals im Mittelpunkt der Bundestags-Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus. Dabei kommt mit dem Berliner Schauspieler Sebastian Urbanski auch zum ersten Mal ein Mensch mit Down-Syndrom im Bundestag zu Wort. Die Erinnerung an die grausamen Verbrechen darf nicht verloren gehen.
Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die Abwertung von und die gravierenden Menschenrechtsverletzung an Menschen mit Behinderungen nicht mit der NS-Herrschaft endeten. Bis in die 1980er Jahre haben Kinder und Jugendliche in Behindertenheimen und Psychiatrien schlimmste Grausamkeiten erlebt. Hunderte, eventuell sogar Tausende von ihnen wurden dort offenbar auch für Medikamententests missbraucht – in manchen Fällen anscheinend von Ärzten mit NS-Vergangenheit wie beispielsweise Waldemar Strehl, der in den 1950er Jahren Anstaltsarzt im Essener Franz-Sales-Haus war. Möglicherweise geschahen die Medikamententests sogar mit Billigung staatlicher Behörden.
Diese schrecklichen Vorwürfe müssen dringend systematisch und umfassend aufgeklärt werden. Die Opfer haben ein Recht darauf, dass das Unrecht, das sie erleiden mussten, benannt, anerkannt und entschädigt wird.