Belastbare Rechte statt Gnade im Einzelfall

[07.04.2014]  Pressemitteilung

Zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Armut durch Eingliederungshilfe“ erklärt Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen:

Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung angekündigt, die Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen zur Teilhabe aus der Sozialhilfe herauszuholen. Und die SPD versprach letzten Freitag im Bundestag, den „Anspruch auf Teilhabe umfassend umsetzen“ und das Bedürftigkeitsprinzip abschaffen zu wollen. Würde die Bundesregierung dieses Ziel tatsächlich konsequent verfolgen, wäre der Weg klar: Unterstützungsleistungen, die Menschen mit Behinderungen Teilhabe ermöglichen, müssten ohne jegliche Prüfung der wirtschaftlichen Situation der Antragsstellerinnen und Antragssteller gewährt werden. Doch so weit möchte die Bundesregierung wohl nicht gehen. Das zumindest legt ihre Antwort auf unsere Kleine Anfrage „Armut durch Eingliederungshilfe“ nahe: Zaudern und Zögern, statt Zahlen und Visionen.

Auch wenn einzelne Abgeordnete der SPD-Fraktion versprechen, Teilhabeleistungen anrechnungsfrei zu gestalten: Die Bundesregierung findet es grundsätzlich richtig, dass Menschen mit Behinderungen ihren Teilhabebedarf zunächst aus eigenem Einkommen und Vermögen decken. Auch Ehe- bzw. Lebens- sowie nichteheliche PartnerInnen sollen große Teile ihrer Mittel dafür aufbringen müssen. Lediglich „die Art und Weise“ des Einsatzes von Einkommen und Vermögen werden im Rahmen der Erarbeitung eines Bundesteilhabegesetzes „wichtige Diskussionspunkte“ sein.

Vollkommen unproblematisch ist für die Bundesregierung offensichtlich, dass die Vermögensfreibeträge von Menschen mit Behinderung, die meist ihr ganzes Leben auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind, deutlich niedriger sind als die ohnehin schon geringen Vermögensfreigrenzen bei Alg-ll-Bezug. Von den 2.600 Euro, die Alleinstehenden an nicht zweckgebundenem Schonvermögen zugestanden werden, bleibt nach Abzug der üblichen monatlichen Lebenshaltungskosten nur wenig für unvorhergesehene Ausgaben – wie etwa Reparaturen – übrig. Davor verschließt die Bundesregierung die Augen. Sie hat nicht einmal den Freibetrag an die Inflationsrate angepasst, sonst müsste dieser immerhin bei fast 3.000 Euro liegen.

Wiederholt verweist die Bundesregierung darauf, dass es den Sozialhilfeträgern möglich sei, im Rahmen von Einzel- oder Härtefallentscheidungen großzügigere Freigrenzen für Vermögen und Einkommen anzuwenden. Doch das ist nichts anderes als ein „Gnadenrecht“. Mit der Gleichstellung behinderter Menschen und der Idee einer inklusiven Gesellschaft ist es nicht vereinbar. Zudem ignoriert die Bundesregierung, dass viele Sozialhilfeträger von den zuständigen Landesrechnungshöfen gedrängt werden, derartige Ermessensspielräume grundsätzlich restriktiv zu handhaben.

Beinahe rührend weltfremd beantwortet die Bundesregierung die Frage, ob die Aussicht auf ein Leben am Rande des Existenzminimums potenzielle Ehe- und LebenspartnerInnen abschrecke: „Die Auffassung, dass die Eheschließung bzw. Partnerschaft von behinderten Menschen bei Sozialhilfegewährung unerträglich belasten würde, kann nicht überzeugen. Bei einer Partnerschaft spielen in unserer Gesellschaft primär persönliche Aspekte eine Rolle.“ Das mag so sein. Aber wenn Partnerschaft zu Armut führt, ist das zu viel verlangt.

Die Bundesregierung möchte sich nicht darauf festlegen, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung konsequent sicherzustellen. Hoffen wir, dass die SPD-Abgeordneten mehr wussten, als sie im Bundestag behaupteten, diese Regierung würde Teilhabeleistungen künftig anrechnungsfrei gestalten.