Anlässlich der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes durch den Bundesrat, erklärt Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen:
Wer in diesem Gesetz etwas finden möchte, das die Teilhabe behinderter Menschen stärkt, muss mit einer Lupe ausgestattet sein. Auf massiven Druck von Menschen mit Behinderungen und von Grünen in Bund und Ländern wurden einige der noch im Gesetzentwurf vorgesehenen Verschlechterungen für behinderte Menschen abgewendet. Das macht das Teilhabegesetz aber noch nicht zu einem guten Gesetz.
Auch die SPD erkennt mittlerweile an, dass die freie Wahl des Wohnorts mit dem Teilhabegesetz nicht gewährleistet wird. Menschen können weiterhin gezwungen werden, im Heim zu leben. Das widerspricht Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention, wonach eine unabhängige Lebensführung gewährleistet sein muss. Im Bereich der Freizeitgestaltung gibt es sogar Verschlechterungen gegenüber geltendem Recht. So ist es mit dem Teilhabegesetz möglich, behinderte Menschen zu zwingen, sich einen Assistenten in der Freizeit zu teilen. Dann muss sich beispielsweise eine Rollifahrerin damit abfinden, dass ihre Selbstbestimmung an ihrer Wohnungstür endet. Denn wenn eine Person ins Kino möchte, die andere aber zum Fußball, müssen sie sich künftig einigen. Das ist eine Zumutung.
Das Teilhabegesetz ist nicht der Abschied vom Fürsorgerecht, es ist Sozialhilfe in neuem Gewand. Auch das ehrenamtliche Engagement von Menschen mit Behinderungen wird geschwächt. Sind sie ehrenamtlich tätig, werden Assistenzleistungen künftig erst finanziert, wenn Freunde, Familie und Bekannte keine freiwillige und unentgeltliche Unterstützung leisten. Das wird es etwa einem Gehörlosen noch schwerer machen, sich in der Kommunalpolitik seiner Stadt aktiv einzubringen. Dazu benötigt er nämlich einen professionellen Gebärdensprachdolmetscher, dessen Finanzierung ihm nun noch leichter vorenthalten werden kann.
Nun kommt es darauf an, dass die Bundesländer und Kommunen dieses mangelhafte Gesetz im Sinne der Betroffenen umsetzen. Sie können im Rahmen ihrer Kompetenzen gegensteuern, wenn es zu Verstößen gegen die Behindertenrechtskonvention kommt. Klar ist, dass dieses Gesetz nur ein Anfang sein kann. Zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention sind in Kürze weitere und größere Schritte nötig.