Zum „Triage-Gesetz“ (Zweites Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes, BT-Drucksache 20/3877), welches heute im Bundestag verabschiedet wird, erklärt Corinna Rüffer, Berichterstatterin für Behindertenpolitik der Bundestagfraktion Bündnis 90/Die Grünen:
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Triage-Beschluss festgestellt, dass der Staat dazu verpflichtet ist, behinderte Menschen in einem pandemiebedingten Triage-Fall wirksam vor Diskriminierung zu schützen. Das löst der Gesetzentwurf nicht ein. Deshalb werde ich ihm nicht zustimmen.
Das im Gesetzentwurf vorgesehene Kriterium der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“, um knappe intensivmedizinische Behandlungskapazitäten zuzuteilen, wirkt immanent diskriminierend. Es dient nicht dazu, die schwachen Patient*innen zu schützen, sondern ist im Gegenteil darauf gerichtet, die „fittesten“ zu retten. Damit stellt das Gesetz einen Eckpfeiler unseres Grundgesetzes – den gleichen Wert jedes Menschenlebens – in Frage. Diese ethische und verfassungsrechtliche Tragweite ist in der bisherigen Debatte untergegangen, da der politische Prozess um eine Triage-Regelung fatalerweise gesundheitspolitisch-medizinisch angelegt war.
Das ist umso bedeutender und besorgniserregender, da die eigentliche Relevanz des Gesetzes weit über die Pandemie hinausreicht: Unser neoliberal-ökonomisiertes Gesundheitswesen steht seit langem enorm unter Druck und die Versorgungslage ist schon heute schwierig. Gleichzeitig wird es aufgrund der radikalen demografischen Veränderung immer mehr hochbetagte, kranke, behinderte und nicht mehr „leistungsfähige“ Menschen geben. Angesichts dessen, sollten wir uns davor hüten, das „Überleben des Stärkeren“ in Gesetzesform zu gießen.