Ist unsere Gesellschaft so schwach?

[13.11.2014]  Rede
Rede vom 13.11.2014 im Rahmen der Bundestagsdebatte zur "Sterbebegleitung"

Nicht mehr selbst bestimmen können, abhängig sein von anderen Menschen, unter Schmerzen leiden, ein aus ihrer Sicht unwürdiges Leben führen – weil viele Menschen das fürchten, debattieren wir heute darüber, den Weg der organisierten Sterbehilfe weiter zu öffnen. Das wäre politisch eine sehr deprimierende Antwort auf berechtigte Sorgen und Ängste. Ich mache mich für eine andere Antwort stark.

Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen am Lebensende nicht unter unerträglichen Schmerzen leiden – das ist etwas anderes, als die Angebote zu stärken, das eigene Leben zu beenden. Wir müssen daran arbeiten, dass sich unsere Vorstellungen von einem Leben in Würde erweitern: Es ist nicht unwürdig zu vergessen, wer man ist. Es ist nicht unwürdig, nicht selbst auf die Toilette zu gehen. Es ist würdevoll, gefüttert zu werden. Wir dürfen den Verlust von Fähigkeiten nicht mit dem erleichterten Weg in den Tod beantworten. Wir sollten bedenken, welche Wirkung das bei jenen hat, die solche Fähigkeiten nie gehabt haben: bei Menschen mit Behinderung.

Wir sind unser ganzes Leben abhängig von anderen Menschen, mehr oder weniger intensiv. Wir brauchen Unterstützung in den intimsten Lebensbereichen. Die richtige Antwort auf die Herausforderungen, vor die uns diese Tatsache stellt, ist nicht der Tod. Die richtige Antwort ist, politisch die Möglichkeiten zu schaffen, in Situationen, in denen wir uns abhängig fühlen, Raum für selbstbestimmtes Leben zu schaffen. Selbstbestimmung setzt auch voraus, zwischen Alternativen wählen zu können. Bevor die organisierte Sterbehilfe akzeptiert werden kann, müssen wir dafür sorgen, dass jeder Mensch wirklich die Wahl hat.

In der Debatte um eine Neuregelung der Sterbehilfe reichen die Forderungen von einem kompletten Verbot der Beihilfe zum Suizid bis dahin, den Weg der organisierten Sterbehilfe weiter zu öffnen. Ich teile die Position meiner Fraktionskollegen Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe, dass der assistierte Suizid nicht zu einer alltäglichen „Dienstleistung“ werden darf.