Im Sommer 2020 reichten behinderte und chronisch kranke Menschen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, weil sie befürchteten, im Fall einer pandemiebedingten „Triage“ wegen ihrer Behinderung oder Vorerkrankung nicht intensivmedizinisch behandelt zu werden. Heute wissen wir, dass diese Frage nicht nur theoretisch war. Dort, wo in der zweiten Corona-Welle im Winter 2020/21 die Inzidenzen besonders hoch waren, wurden an Corona erkrankte Bewohner*innen von Pflegeheimen teilweise nicht mehr im Krankenhaus behandelt. „Triage-vor-der-Triage“ oder „graue Triage“ nennt man das.
Wie beraten heute über eine Regelung für den Triage-Fall und die entsprechende Änderung des das Infektionsschutzgesetzes, weil das Bundesverfassungsgericht den Beschwerdeführer*innen – glücklicherweise – weitgehend gefolgt ist: Das Gericht hat uns als Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich geeignete Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen zu treffen. Es ist unsere Aufgabe, diesen Schutzauftrag vollumfänglich zu erfüllen!
Eine Regelung für den Triage-Fall zu finden – also wenn intensivmedizinische Kapazitäten nicht mehr für alle Patient*innen ausreichen –, berührt tiefgreifende Fragen: Ist die vorgeschlagene Regelung überhaupt geeignet, einen gleichberechtigten Zugang zu überlebensnotwendigen intensivmedizinischen Behandlungen zu gewährleisten? Oder ist das vorgesehene Kriterium der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ möglicherweise von vornherein immanent diskriminierend?
Diese Fragen können nicht allein aus medizinischen Perspektive beantwortet werden und sie erfordern eine umfassende und gründliche gesellschaftliche Diskussion.
Zum Lesen: Meine Rede zum Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (Triage-Regelung)