Als behindertenpolitische Sprecherin meiner Fraktion habe ich immer wieder versucht, den Fokus auf Geflüchtete mit Behinderungen zu richten – u.a. mit einer Kleinen Anfrage „Zur Lage von geflüchteten Menschen mit Behinderungen“ (Bt.-Drs 18/11271). Die Antwort darauf machte leider deutlich, dass sich die Regierung kaum für diese Gruppe besonders verletzlicher Geflüchteter interessiert. Dabei gibt es viele Hinweise, dass deren Versorgung völlig unzureichend ist. Auf Einladung der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“, die Anfang des Jahres einen Bericht zur prekären Lage von Geflüchteten mit Behinderungen in Griechenland vorgelegt hat, bin ich vom 5. bis 8. Juni nach Athen und Thessaloniki gereist, um mir selbst ein Bild zu machen.
Meine ersten Gesprächspartner in Griechenland, der Präsident des European Disability Forum Yannis Vardakastanis sowie andere Vertreterinnen und Vertreter des Verbands, räumten unumwunden ein, dass der griechische Staat nur sehr mangelhaft darauf vorbereitet sei, Geflüchtete aufzunehmen. Das gelte speziell für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf wie Menschen mit Behinderungen. Aufgrund der ökonomischen Krise fällt es Griechenland schwer, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention zu erfüllen. Auch würden insbesondere in den sogenannten „Hot Spots“ auf den ostägäischen Inseln internationale humanitäre Standards nicht eingehalten.
Auf der anderen Seite gibt es viele wegweisende Projekte in Griechenland, wie beispielsweise das Wohnprojekt „WELCommon“ im Zentrum von Athen. Das Sozialunternehmen „Anemos Ananeosis/Wind of Renewal“, Initiator und Träger des Projekts, hat dafür in Zusammenarbeit mit der Stadt Athen und der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR ein ehemaliges Krankenhaus angemietet. Aufgenommen werden vorrangig besonders schutzbedürftige Geflüchtete wie Schwangere, Opfer von Folter und Vergewaltigung, Familien mit vielen Kindern, Menschen mit Behinderungen oder auch chronisch Kranke. Sie erhalten hier drei gute Mahlzeiten am Tag, medizinische Versorgung und Therapieangeboten. Herausragend ist auch das tolle Angebot für Kinder mit Sprachkursen (deutsch, englisch, griechisch) und vielen kreative Angebote wie Töpfern, Malen, Fotografieren, Musik und Tanz.
Im „WELCommon“ legen alle Beteiligten viel Wert auf die Einbindung von Menschen aus der Nachbarschaft, um die soziale Inklusion der Geflüchteten zu unterstützen und Vorurteile bei den Einheimischen abzubauen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das Wohnprojekt ist dank des großartigen Konzepts, einer engagierten Leitung und vieler toller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein echter Glücksfall für die Menschen, die hier eine Unterkunft bekommen. Gemessen an der Gesamtzahl der Geflüchteten in Griechenland sind das aber leider sehr wenige.
Die Tagestätte „Refugee Day Center Alkyone“ in Thessaloniki, bietet Geflüchteten Frühstück und Mittagessen, eine vorbildlich organisierte Kleiderkammer, Duschen und Waschmaschinen sowie psychologische Unterstützung, Workshops und kulturelle Angebote, die auch hier dazu gedacht sind, die lokale Bevölkerung und Geflüchtete einander näher zu bringen. Ein spezielles Augenmerk gilt den besonders verletzlichen Personengruppen.
Die Initiative „Naomi“ unterhält eine Nothilfe für Geflüchtete, bietet Sprachkurse an und hat eine Textil-Werkstatt. Hier können Geflüchtete kleine Näharbeiten anfertigen, Nähkurse machen oder die Grundlagen des Schneiderns lernen. In der Werkstatt werden unter anderem die UNHCR-Decken, die die Geflüchteten in Idomeni vor dem Kältetod bewahrt haben, zu Jacken weiterverarbeitet und unter dem Label „remember Idomeni“ gegen eine Spende abgegeben (⇒ naomi-thessaloniki.net).
Leider fürchten alle Projekte, die ich besucht habe, über Kurz oder Lang das Ende. Da EU-Projekte in der Regel nur wenige Jahre laufen, gibt es keine dauerhafte Finanzierung. Das ist nicht nur aus humanitären Gründen fatal. Auch ökonomisch ist das kaum nachvollziehbar, denn für viele Projekte sind aufwändige Sanierungs- und Umbauarbeiten nötig. Diese Investitionen laufen dann nach relativ kurzer Zeit ins Leere.
Die beeindruckenden Projekte sind ein Glück für diejenigen, die davon profitieren. Der Regelfall eines Geflüchteten mit Behinderung bleibt aber leider die Isolation. Es ist deshalb dringend nötig Griechenland bei der Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten zu entlasten. Gefordert wäre hier auch die Bundesregierung, die bis heute ihren Verpflichtungen zur Umverteilung Geflüchteter nicht annähernd nachkommt.
- Ausführlicher Reisebericht (Pdf-Datei)