Triage und Risikogruppe: Wer stirbt zuerst?

[14.05.2020]  Veranstaltung

Wenn sich in sehr kurzer Zeit sehr viele Menschen mit dem Corona-Virus infizieren, dann kann es – wie in Italien oder Frankreich – zu Situationen kommen, in denen die medizinischen Ressourcen nicht ausreichen, um alle zu behandeln. Ärzt*innen und Pflegepersonal waren dort vor schreckliche Entscheidungen gestellt – mit tödlichen Folgen für diejenigen, die durchs Raster fielen. In Deutschland ist diese Situation bisher zum Glück noch nicht eingetreten. Ausgeschlossen ist sie weiterhin nicht. Eine Reihe medizinischer Fachgesellschaften haben in Deutschland bereits Kriterien entwickelt, wie in solchen Situationen entschieden werden soll – doch diese diskriminieren behinderte Menschen. Deshalb fürchten sie, im Ernstfall keine Chance auf Behandlung zu haben.

Welche Folgen hat Triage für Personen aus Risikogruppen? Wie können wir sicherstellen, dass die Würde jedes Einzelnen auch in Krisenzeiten geschützt ist? Wie lässt sich verhindern, dass Leben unterschiedlich gewertet wird? Über diese Fragen habe ich Ende April im Rahmen eines Online-Seminars mit Nancy Poser, Richterin und Mitglied im Forum behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ), und Till Zimmermann, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Trier, diskutiert.

Beide lehnen die Vorschläge der Fachgesellschaften ab. Aus ihrer Sicht gewährleisten die Empfehlungen nicht, dass jeder Mensch die gleiche Chance hat, behandelt zu werden. Das aber sehe das Grundgesetz vor. Natürlich sollten nur diejenigen behandelt werden, die auch eine Chance hätten, von der Behandlung zu profitieren. Wenn aber innerhalb dieser Gruppe Entscheidungen getroffen würden, dann dürften diskriminierende Faktoren keine Rolle spielen.

Viele Fragen der rund 150 Teilnehmer*innen bezogen sich auf die Prinzipien nach denen Ärzt*innen entscheiden können, wer behandelt wird. Wie gerecht sind beispielsweise Losverfahren oder Entscheidungen nach Priorität und Dringlichkeit? Wie können wir Menschen vor der Willkür Dritter schützen? Die Referent*innen und Teilnehmenden diskutierten über die Menschen- und Gesellschaftsbilder, die die Triage-Debatte bestimmen.

Die Diskussion hat gezeigt: Der Bundesgesetzgeber könnte einheitliche, verfassungskonforme Regelungen und Prinzipien zur Triage erlassen – und sollte das auch tun, so der Konsens der Gesprächsteilnehmer*innen. Einig war man sich auch darin, dass die Bundesregierung Stellung beziehen solle und dass niemand aufgrund seines Alters oder einer Behinderung bei der medizinischen Versorgung diskriminiert werden darf.