Seit Jahren wird beklagt, dass es in Deutschland einen erheblichen Sanierungsstau gibt. Dabei wird allerdings meist an kaputte Straßen, marode Schulgebäude und Sportstätten gedacht oder an die schlechte Energiebilanz vieler Gebäude. Ein Aspekt geht vielfach unter: Viele öffentliche und private Gebäude sind für viele Menschen mit Behinderungen nicht zugänglich. Die grüne Bundestagsfraktion hat sich deshalb am 28. Juni bei einem digitalen Fachgespräch mit der Frage beschäftigt, wie der Abbau baulicher Barrieren beschleunigt und mit der energetischen Sanierung verknüpft werden kann.
Alle am Fachgespräch Beteiligten waren sich einig: Sowohl bei Wohnungen als auch bei den rund drei Millionen Gebäuden, in denen sich keine Wohnungen befinden, besteht ein erheblicher Nachholbedarf beim Abbau von Barrieren. Dabei gibt es allerdings ein deutliches Gefälle zwischen Stadt und Land, so Markus Rebstock, Referent für Bauen, Öffentlichen Raum und Mobilität bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit. Viele Barrieren lassen sich bei ohnehin anstehenden Umbau- und Sanierungsarbeiten beseitigen, wenn der Aspekt von Anfang an in die Planung einbezogen werde. Das berichtete die ehemalige Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, Christine Degenhart. Sie zeigte sich optimistisch, dass es in den nächsten Jahren deutliche Fortschritte geben werde, da barrierefreies Bauen und Umbauen in der Aus- und Fortbildung der Planerinnen und Handwerkerinnen inzwischen eine größere Rolle spiele. Außerdem werde es beispielsweise inzwischen selbstverständlich vorausgesetzt, dass ein Aufzug vorhanden sein müsse. Doch bei Umbauten sei oft noch Kreativität und Kompromissbereitschaft notwendig.
Im zweiten Teil des Fachgesprächs berichteten Sandra Warden, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, und Michael Reink, Bereichsleiter Standort und Verkehrspolitik beim Handelsverband Deutschland, über die Entwicklungen in ihren beiden Branchen. Die Zertifizierungssysteme „Reisen für Alle“ und „Generationengerecht Einkaufen“ der beiden Verbände werden von ersten Betrieben bereits genutzt. Einzelhandelsbetriebe, die in neu erbauten Gebäuden eröffnen, würden inzwischen fast ausnahmslos die Zertifizierung bestehen.
Raul Krauthausen, Gründer und Vorstand von Sozialhelden e.V., betonte, wie wichtig konkrete Verpflichtungen sind. Fortschritte beim Abbau von Barrieren seien in den vergangenen Jahren immer erst dann erreicht worden, wenn der jeweilige Bereich gesetzlich dazu verpflichtet wurde. Appelle, Auszeichnungen und Förderprogramme seien als alleinige Maßnahmen nicht erfolgversprechend. Krauthausen betonte, dass der Abbau von Barrieren die Verwirklichung von Menschenrechten sei und kein wohltätiger Akt.
Wir wollen umfassende Barrierefreiheit schaffen – auch in der Privatwirtschaft, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am Leben teilhaben und selbstbestimmt leben, lernen und arbeiten können. Dazu haben wir bereits Ende letzten Jahres den Antrag „Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglichen – Barrierefreiheit umfassend umsetzen“ vorgelegt.
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